Ein Angebot der NOZ

Modeschöpfer im Interview Wolfgang Joop: „Ich spüre viel vom Verschwinden“

Von Andreas Wrede | 18.09.2023, 01:00 Uhr | Update am 27.09.2023

Wolfgang Joop ist der bekannteste Designer Deutschlands. Im Interview in seinem Haus in Potsdam spricht er über Sehnsüchte, Karl Lagerfeld, das Ende großer Modeschöpfer und die Oberflächlichkeit von Influencern.

Herr Joop, in Ihrem Buch „Die einzig mögliche Zeit“ heißt es: „Lasse ich Erinnerungen zu, kommen die Geister von allein – ungerufen. Ich werde dann für eine Zeitlang wieder der, der ich gewesen bin. Manchmal erschrecke ich darüber, dass Sehnsüchte und Ängste nicht vergangen sind. Nur verborgen unter dem Erlebten. Aber in meinem Blick zurück muss ein Staunen zu spüren sein. Darüber, dass diese letzte Zeit meine beste ist.“ Welche Sehnsüchte und Ängste sind nicht vergangen?

Die Liebe. Sie ist behaftet mit Sehnsüchten und Ängsten, aber sie vergeht niemals. Kürzlich habe ich eine alte Jugendliebe wiederentdeckt, sie lebt jetzt in Utah, USA. Als ich Mode-Redakteur war bei der Zeitschrift „Neue Mode“ hat sie mir viel beigebracht, zum Beispiel Rückenansichten zu zeichnen, das konnte ich noch nicht. Ich habe das Gesicht gezeichnet und ihr rübergeschoben, sie hat dann damals mit Blazer und Schuhen komplettiert, heute schreiben wir uns fast täglich wieder. Toll.

Ihre Korrespondenz mit Karl Lagerfeld (1933 – 2019) war eher begrenzt…

…Best friends waren wir nie. Mir sind noch sehr Abende bei den Shows in Paris in den Siebzigerjahren erinnerlich, da saß er in diesem oder jenem Club abends mit seiner Entourage am Tisch, das war sein Königreich. Trotzdem hat uns über die Jahrzehnte viel von Ferne verbunden. Als ich dann sehr erfolgreich wurde international, hat er mir die fragile Freundschaft still gekündigt. Aber da habe ich es mit Gertrude Stein, der Verlegerin und Kunstsammlerin (1874 – 1946), gehalten: „Auch langsame Katastrophen gehen ganz schnell vorbei.“ Es gibt Wolfgang Joop und es gab Karl Lagerfeld.

Noch ein Zitat aus „Die einzig mögliche Zeit“: „Potsdam – ,unser‘ Potsdam hatte Parks, Seen, das Schloss Sanssouci, aber auch ,unsere‘ Bornstedter Kirche, ,unseren‘ Friedhof und unseren Garten hinter dem Familienhaus…“. War das damalige Krongut Bornstedt in Potsdam mit dem Grundstück, auf dem Sie heute wieder leben, immer der Sehnsuchtsort Ihres Lebens?

Ja, meine Mutter und ihre Schwester, die geliebte Tante Ulla, wir waren hier doch eingebettet in dieser zeitweiligen Geborgenheit. Aber damals habe ich gelernt, was Verlust mit Frauen macht. Mit mir an der Hand fragte Mutter Anfang der Fünfzigerjahre andere Frauen, ob sie denn Post von ihren Männern bekommen hätten, ob denn ihre Männer aus dem Krieg wiederkehren würden. Und plötzlich stand dann mein Vater vor mir. Ich wusste nicht, wer da kommt. Mit dem Foto, das bei uns stand, hatte er nichts zu tun. Und meine Mutter hatte sieben Jahre auf ihn gewartet…nein, natürlich hatte sie nicht gewartet. Wir hatten Angst vor ihm, aus unterschiedlichen Motiven.

Dann kam der Gang nach Westen 1954…

Der Moment des Abschieds kam unverhofft über mich, plötzlich waren wir im westdeutschen Braunschweig. Dreizimmerwohnung. Gegenüber war ein Flüchtlingslager. „Unser“ Bornstedt war nun scheinbar Lichtjahre entfernt. Und eine Gisela mit dicken Backen fragte mich, ob ich auch ein Flüchtling „von drüben“ wäre. Der habe ich eine geknallt. Zweimal im Jahr sind wir immer nach Potsdam gefahren, zu Tante Ulla, die unser Anwesen so gut es ging in Schuss hielt, ich habe sie später dabei immer finanziell unterstützt und sie vor dem Mauerfall regelmäßig besucht. 

Nach der Wiedervereinigung sind dann ihre Eltern wieder nach Potsdam gezogen…

…Da, wo wir gerade sitzen, war der Kuhstall, rechts von uns wurde das Heu heruntergeworfen und daneben war der Schweinestall. Das Buch habe ich oft hier mit viel Wehmut geschrieben – übrigens handschriftlich, meine Lektorin bei Rowohlt musste Tausende von Seiten geduldig transkribieren. Es gibt Leute, die sagen, meine Handschrift sei nicht immer die leserlichste.

Sie bringen mit „Wunderkind x hessnatur“ bereits die zweite Kollektion, Limited Edition, heraus. Dazu passt noch ein Zitat aus dem Buch. „Wir wollen von der Mode keine Wahrheiten, sondern Utopien. Deshalb wirken Modebilder, schöne Menschen in schönen Kleidern, gerade in den Zeiten so tröstlich, in denen die Wahrheit unerträglich ist.“ Klingt so, als hätten Sie Corona, die Energie-Krise und Putins‘ Angriffskrieg vorausgeahnt.

Zu viel der Ehre. Aber wir alle sollten doch inzwischen so aufgeklärt sein, dass diese irrwitzige weltweite Produktion von Klamotten ihren Teil zum Tode unseres Planeten beiträgt. Ich habe also ebenfalls allen Grund, ein schlechtes Gewissen zu haben. Und dann gibt es da ein Unternehmen, das seit 1976 Naturtextilien macht, davor hege ich großen Respekt. Wenn ich höre, dass Zara sogenannte Kaschmir-Pullover für 70 Euro verkauft, könnte ich schreien ohne Ende. Immerhin, ich trage jetzt die schönste und nachhaltigste Unterwäsche der Welt (er lüftet dezent den Hosenbund) – von Hess Natur.

In der Mode gab und gibt es immer wieder Role Models, für Sie und ihre Frau Karin waren das Warren Beatty und Faye Dunaway in dem Film „Bonnie und Clyde“ (1967) von Arthur Penn.

Zu dieser Zeit wollten wir alle so cool angezogen sein wie Bonnie und Clyde, Flohmärkte und Secondhand-Shops wurden wie verrückt durchkämmt nach Anziehbarem und nach Accessoires, herrlich. Später hatte ich eine andere Vorstellung von Männern. Das schwule Leben hat ganz früher wohl auf mich geschaut, ich habe aber noch nicht den Blick erwidert. Mein Gott, zwischendurch hatte ich mal lange blonde Haare und einen blonden Schnauzbart – zum Glück nicht sehr lang.

Ist die Mode so eine Art Brandmauer in den heutigen Zeiten?

In diesen Krisen- und Kriegszeiten scheint es mir tatsächlich so, als gäbe es da eine imaginäre Mauer zwischen der realen und der Mode-Welt – und uns in der Mode-Welt kann nichts passieren. Das stimmt natürlich nicht. Zumal Fashion heute ohnehin nicht nur bloße Kleidungsstücke ist, Fashion heute ist Bewegung, so wie sich unser Planet bewegt. Street Style, Hip Hop und Rap, das sind Bewegungen, die Mode ihren Stempel aufdrücken.

Sie sagen: „Die Zeit der großen Modeschöpfer ist vorbei“. Wie das?

Weil die Fashion-Industrie heute von Konzernen gelenkt wird, da bekommen Designer ihre Befehle von oben, was sie zu tun und zu lassen haben. Früher konnte man sich erlauben, politisch unbequem zu sein.

„Du bist ein Star, benimm‘ Dich auch so“, sagte ein Freund zu Ihnen. Wollte Sie deswegen der berühmte italienische Regisseur Luchino Visconti („Der Leopard“, „Tod in Venedig“) in einem seiner Filme?

In Rom gab es Couture-Modenschauen, in diesem Zusammenhang habe ich den Schauspieler Helmut Berger und seinen Lebenspartner Visconti kennengelernt, der mich in seinem Film „Die Unschuld“ besetzen wollte.

Man sah Sie in einigen Filmen, etwa in „Der Sommer des Samurai“.

Vom ehemaligen Film-Kritiker der „Zeit“, Hans-Christoph Blumenberg, der Regisseur wurde. Er wusste so wahnsinnig viel über Filme, dass man gefühlt bei jeder Einstellung einen Kommentar hörte zu Hollywood, Howard Hawks, Alfred Hitchcock oder Akira Kurosawa („Die sieben Samurai“). Sehr amüsant. Jener ominöse, schwarz gekleidete Einbrecher, der eine Hauptrolle spielt, war eine Hommage an Hitchcocks‘ „Über den Dächern von Nizza“ mit Cary Grant und Grace Kelly. Himmel, die hatten noch Stil. Im „Samurai“ hieß ich Heinz und gab einen Leibwächter…ich und ein Leibwächter.

Sie gelten als genialer Illustrator und Zeichner, haben Sie eine Vorstellung, wie viele zehntausende Zeichnungen Sie bislang zu Papier brachten?

Keine Ahnung. Aber ich zeichne jetzt immer schneller, weil ich immer weniger Geduld habe. Was ich weiß: Wenn Du gut zeichnen willst, musst Du eine Menge über Anatomie wissen und auch über die Veränderung der Körperlichkeit. Der Körper rutscht im Alter zusammen, der Bauch kommt nach vorne, Proportionen schrumpfen. Mit der Anatomie des Menschen habe ich mich allerdings schon in jungen Jahren auseinandergesetzt als ich noch alte Meister gefälscht habe.

Ist das Alter ein relevantes Thema geworden?

Ach, momentan habe ich nicht so starke Bodenhaftung, weil ich viel vom Verschwinden spüre. Seit der Pandemie ist Fliegen für mich ein Albtraum, auf meine Gesundheit habe ich mehr zu achten als früher, Fleisch essen schadet der Umwelt und ist ungesund. Mir fällt auch auf, viele Frauen scheinen sich verabredet zu haben, den gleichen Stil zu tragen.

Das wäre bitte?

Sie betonen derzeit vor allem ihren Po, keine Ahnung, wer ihnen das eingetrichtert hat, Jennifer Lopez oder Kim Kardashian? Nun, Modetrends verbreiten sich ja wie eine Epidemie und sogenannte Influencer versuchen uns diesen oder jenen Trend aufzuoktroyieren, obwohl sie oft nicht mal wissen, wie man Androgynie, Haute Couture, Tunnelbund oder Volants buchstabiert. Un faible niveau. Aber das zeichnet Social Media fatalerweise oft aus, wir haben es da mit einer suspekten Oberflächlichkeit zu tun, das ist so verdammt ermüdend.

Sie sind ein passionierter Sammler moderner Kunst und nannten eine bemerkenswerte Sammlung an Tamara de Lempicka-Gemälden ihr Eigen.

Zehn dieser Werke habe ich 2009 bei Sotheby’s in New York versteigern lassen. So richtig gelebt habe ich mit den meisten dieser Bilder sowieso nicht, immerzu waren sie an Museen in aller Welt verliehen. Sie war eine fabelhafte, unkonventionelle Art-Déco-Malerin, mit einem legendären Hang zur Boheme, ihr Frauenbild war radikal-avantgardistisch. Heute hängen bei mir afroamerikanische Künstler wie etwa Njideka Akunyili Crosby oder Kehine Wiley. Barak Obama hat ihn übrigens seinerzeit gebeten, sein offizielles Portrait für die National Gallery zu malen im Stil von Pop Art Goes Baroque. Bei Njideka fasziniert mich, dass sie mit diversen Techniken arbeitet – Malerei, Fotos, Zeichnungen – und sie miteinander verschmelzt.

Im kommenden Jahr ist eine umfängliche Werkschau Ihres künstlerischen Oeuvres in Potsdam zu sehen…

…Es werden Zeichnungen, Kollektionsteile, Skulpturen, Ölgemälde - meine Affen etwa – und Accessoires, Vintage-Möbel oder Tapeten sein. Meine Vielseitigkeit soll für den Betrachter zum Ausdruck kommen. Für die Deutschen ist es doch immer noch anstrengend zu begreifen, dass ein Mensch durchaus mehr als nur ein Talent besitzen kann.

Mehr Informationen:

Joop wurde 1944 in Potsdam geboren. Er ist Designer, Autor und Maler. Der Durchbruch gelang ihm mit der Marke „Joop!“, die er später verkaufte. Sein aktuelles Label heißt „Looks“. Joop war Hochschuldozent und Juror bei „Germanys Next Topmodel“. Das Potsdam-Museum plant 2024 eine Joop-Schau.   

Noch keine Kommentare