Die Pandemie ist Geschichte, doch ihre Folgen halten an. Long Covid treibt viele Patienten in die Arbeitsunfähigkeit – aber die Erforschung seiner Ursachen und Therapien steht noch am Anfang.
Geht es nach Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, sollen in nächster Zeit weitere 60 Millionen Euro in die Forschung von Long Covid fließen. Ob sein Ansinnen Erfolg haben wird, ist zweifelhaft; denn sein Kabinettskollege Christian Lindner macht bisher kaum Anstalten, die Gelder dafür freizugeben. Aber Lauterbach machte kürzlich auf einer Zusammenkunft mit 70 Teilnehmern aus Wissenschaft, Politik, Fachgesellschaften, Betroffenenverbänden und Pharmaindustrie klar, dass er in seiner Forderung nicht nachlassen wird.
Darüber hinaus kündigte er an, Long Covid-Patienten den Zugang zu speziellen Medikamenten zu erleichtern. Denn es gebe durchaus einige Arzneimittel, die helfen könnten, aber nicht ausdrücklich für diese Erkrankung zugelassen seien. „Deshalb lassen wir eine Fachgruppe eine Liste mit möglichen Medikationen für Patientinnen und Patienten erarbeiten, die an den Spätfolgen von Corona leiden“, betont Lauterbach. „Die Therapie von Long Covid-Erkrankten soll nicht an Formalien scheitern.“
20 Prozent der Long Covid-Patienten sind arbeitsunfähig
Es soll also mehr Geld und weniger Formalien für die Therapie und Erforschung von Long Covid geben. Experten begrüßen dies als richtiges Signal, auch wenn es einigen zu spät kommt. Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz fordert überdies, „einen Hilfe-Fonds für Betroffene einzurichten.“ Das Problem: Der dürfte auch wieder zig Millionen kosten.
Doch bei näherem Hinsehen dürften sich all diese Investitionen als lohnend herausstellen. Denn immer mehr schält sich heraus: Die Pandemie mag vorbei sein, doch die gesundheitlichen Spätfolgen der Infektion holen uns ein – und werden uns wohl auch nicht so bald loslassen.
Laut einer Studie aus den Niederlanden wird nach einer Sars-Cov2-Infektion einer von acht Patienten zum Long Covid-Fall. 45 Prozent von ihnen sind nach sechs Monaten nicht imstande, in Vollzeit zu arbeiten; 20 Prozent sind arbeitsunfähig. Long Covid hat also auch finanziell eine enorme Tragweite.
Symptome von Long Covid sind sehr vielfältig
Medizinisch ist Long Covid jedoch schwer zu greifen. Mittlerweile werden im Zusammenhang mit Long Covid über 200 Symptome genannt. „Und die können – von Individuum zu Individuum – in unterschiedlichen und phasenweise wechselnden Konstellationen auftreten“, betont Kardiologe und Intensivmediziner Bernhard Schieffer, der auch am Treffen mit Lauterbach beteiligt war. Er leitet am Uni-Klinikum Marburg die interdisziplinäre Post-Covid-Ambulanz, die derzeit – genauso wie die rund 120 anderen Ambulanzen in Deutschland – einen kaum noch zu bewältigenden Ansturm von Patienten erlebt.

Die Long Covid-Symptome reichen von Herzmuskelentzündungen, Herzjagen und Herzschwäche über Husten und Atemnot bis zum „Brain Fog“, also dem berüchtigten „Nebelhirn“ sowie chronischer Abgeschlagenheit und Erschöpfung. „Wir sehen derzeit zunehmend Patienten, bei denen es 14 oder sogar 18 Monate nach der Infektion zu Symptomen kommt, die wir vom Chronischen Fatigue-Syndrom kennen“, so Schieffer. „Sie kommen nicht mehr aus dem Bett, fühlen sich dauernd matt erschlagen – und selbst nach längerem Schlaf nicht erholt.“
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Wissenschaft debattiert noch über Ursachen von Long Covid
Über die Ursachen wird unter Wissenschaftlern noch debattiert. Ein heißer Kandidat ist die Überlastung des Immunsystems. Forscher der Yale School of Medicine haben bei einem „Immun-Profiling“ von Long Covid-Patienten nur halb so hohe Cortisolwerte wie bei gesunden Menschen gefunden. „Die Nebennieren mit ihren entzündungshemmenden Hormonen gehen hier offenbar in die Knie“, erläutert Schieffer.
Es könnte erklären, warum bei Long Covid-Patienten oft das Entzündungsgeschehen aus dem Ruder läuft – und man bei ihnen immer wieder Antikörper auf das Eppstein-Barr-Virus findet. Dieser Erreger taucht gerne im Gefolge von schweren Infekten, einem gestressten Immunsystem auf und im Zusammenhang mit Chronic Fatigue.
Auch eine Autoimmunreaktion, dass sich also die Immunabwehr – nachhaltig irritiert durch den Kampf mit dem Virus – gegen den eigenen Körper richtet, wird als Hauptursache von Long Covid diskutiert. „In jüngerer Zeit geben aber Untersuchungen per Massenspektrometrie deutliche Hinweise auf Viruspartikel, die sich in den Zellen und Organen gehalten haben“, so Schieffer. Sars-Cov-2 vermag sich also offenbar dauerhaft im Körper festzusetzen. „Doch das muss nicht die Hauptursache für die Beschwerden sein“, betont der Mediziner. Außerdem könnte man die Viruspartikel im Rahmen der Routinediagnostik gar nicht messen.
Über die Risikofaktoren von Long Covid wird ebenfalls debattiert. So spielt der Schweregrad der ursprünglichen Infektion offenbar, anders als man erwarten dürfte, keine große Rolle: Wer einen mäßigen Verlauf hatte, kann es am Ende genauso bekommen wie jemand, der richtig gelitten hat; und der kann umgekehrt sogar völlig von der Folgeerkrankung verschont bleiben.
Dementsprechend bietet auch die Impfung, die ja vor schweren Infektionsverläufen schützt, keinen wirklich zuverlässigen Schutz vor Long Covid.
Frauen häufiger von Long Covid betroffen als Männer
Dazu passt, dass es gerade jüngere Menschen im Alter von 15 bis 40 Jahren trifft, obwohl die eher selten schwere akute Verläufe der Infektion zeigen. Frauen sind überdies häufiger Long Covid-Patienten als Männer, das Verhältnis liegt bei drei zu eins. „Wir kennen aber nicht die Gründe für diesen Unterschied“, so Schieffer.
Was gegen Long COVID helfen kann
Ebenso vielfältig wie das Krankheitsbild sind die mittlerweile angebotenen Therapien. Zu ihnen gehört Vitamin D, dem italienische und ecuadorianische Forscher in einer Studie bescheinigen, aufgrund seiner immunmodulierenden Eigenschaften bei Long Covid helfen zu können.
Die sogenannte Plasmapherese – ein spezielles Verfahren der Blutwäsche – hat es zwar schon in die interdisziplinären Leitlinien geschafft, mit dem Ziel, Patienten mit einem hohen Autoantikörper-Spiegel zu helfen. „Doch sie funktioniert manchmal nur für drei Wochen und manchmal auch gar nicht“, warnt Schieffer.
Eine aktuelle Studie von Wissenschaftlern der Cochrane Collaboration untermauert diese Beobachtung. Ganz zu schweigen davon, dass die Blutwäsche mehr als 10.000 Euro kostet, die von den gesetzlichen Krankenkassen nicht erstattet werden.
Immunologin Carmen Scheibenbogen von der Berliner Charité nennt Antidepressiva, Antihistaminika der ersten Generation sowie das Schlafhormon Melatonin, wenn es darum geht, Chronic-Fatigue-Symptome wie Antriebsarmut, Erschöpfung und Schlafstörungen in den Griff zu bekommen.
Aber auch Ginseng hat es hier in die Vorschlagsliste geschafft, weil er als adaptogene Heilpflanze dem Körper beim Bewältigen von Stress-Situationen helfen kann. Gegen die Schmerzen werden Ibuprofen und Paracetamol und gegen das Herzjagen die Erhöhung von Trinkmenge und Salzzufuhr sowie Kortison und das pulssenkende Ivabradin genannt.
- Die Medizin spricht vom Long Covid-Syndrom, wenn die Beschwerden länger als 4 Wochen anhalten
- Post Covid wird ebenfalls dazu gerechnet. Von dieser Variante spricht man, wenn die Symptome noch drei Monate nach einer Infektion vorhanden sind und mindestens zwei Monate lang anhalten.
- Laut WHO-Definition handelt es sich bei Long Covid um einen Krankheitszustand, „der von ausgeprägter physischer und kognitiver Belastungsintoleranz gekennzeichnet ist“. Die Betroffenen sind oft nicht mehr in der Lage, in gewohntem Umfang ihren Berufs- und Alltagstätigkeiten nachzugehen, ohne dass sich ihr Gesundheitszustand dadurch langfristig verschlechtert.
- Eine Liste der Lon Covid-Ambulanzen (für Kinder und Erwachsene) findet sich unter https://longcoviddeutschland.org/ambulanzen/.
Schieffer empfiehlt generell, sich in der Therapie am individuellen Krankheitsbild zu orientieren, ob also beispielsweise allergische, pneumologische oder kardiologische Symptome dominieren. Dann bestünden durchaus realistische Chancen auf eine Erholung von der Krankheit: „Wir haben bei unseren Patienten in Marburg in fast allen Fällen eine signifikante Besserung erlebt.“
Bis dahin können jedoch Monate vergehen. „Und wenn man die Patienten in dieser Zeit, wie es leider immer noch vorkommt, als psychiatrische Fälle oder sogar als eingebildete Kranke einstuft“, so Schieffer, „wird sich ihre Genesung noch einmal in die Länge ziehen“.