Im Wollepark wächst ein kleines grünes Idyll an einer Stelle, die noch vor einigen Jahren mit Trümmern übersät war. Zucchini, Bohnen und Tomaten statt Bauschutt. Doch bei dem Gartenprojekt geht es um viel mehr als nur den Gemüseanbau.
Wer in früheren Jahren auf der Stedinger Straße in Delmenhorst am Wollepark vorbeifuhr, der sah an der Ecke Nordwollestraße vor allem eines: eine Hochhauswüste, eine Öde aus Beton in Form von fünf Gebäuden, sieben Stockwerke hoch, unbewohnt und dem Verfall anheimgefallen. Wer heute die Stedinger Straße passiert, der sieht, na ja, Betonhochhäuser in zweiter Reihe, zwei davon stehen ebenfalls leer und verfallen. Aber eben ein auch eine bunte Blühwiese. Und, im Zentrum, einen grünen Gemüsegarten.
Ein kleiner Garten folgt auf zahlreiche Abrisse
Die Fläche, auf der die Grünanlage steht, war vor einigen Jahren ein Trümmerfeld. Im Sommer 2017 rückten hier die Bagger an, und rissen die fünf Wohn-Klötze ab. Es war ohnehin eine Zeit der Abrisse: Die Gebäude Am Wollepark 1 bis 5 wurden abgerissen, die Westfalenstraße 8 wurde abgerissen, und später wurden wieder Am Wollepark die Hausnummern 13 und 14 abgerissen. Und nach so vielen Abrissen muss ja auch mal wieder etwas wachsen. Gemüse zum Beispiel. Und das in Hülle und Fülle.

„Bohnen und Kürbisse wachsen hier sehr gut. Aber auch Petersilie, Gurken, Paprika oder Chili“, sagt Noura Amno. Die 52-Jährige gehört zu den 22 Gärtnerinnen und Gärtnern, die sich auf der umzäunten Fläche die Parzellen teilen. Pro Haushalt zweieinhalb Quadratmeter. Vor allem Migranten leben sich hier mit Harke und Schaufel aus. Amno und ihr Mann Daniel sind Aramäer, stammen aus einer Region im Grenzgebiet zwischen der Türkei und Syrien. Andere Gärtner kämen aus dem Irak, dem Iran, aus Syrien oder Tunesien, beschreibt Noura Amno – die Schar ist bunt.
Weinreben in Norddeutschland
„Die Menschen, die hier gärtnern, bringen Pflanzen aus ihrer Heimat mit, die sie hier anbauen“, sagt Till Kujadt, er betreut das Gartenprojekt für das Nachbarschaftsbüro der Diakonie. Sauerampfer zum Beispiel, syrische Kräuter – oder Wein. Wie bitte? Wein? In Norddeutschland? Wer sich näher umschaut, kann hier und da tatsächlich ein paar Pflanzen entdecken, die sich am Zaun oder an Holzgerüsten hoch schlängeln. „Die Weinblätter legen wir später ein“, sagt Daniel Amno. Später werden darin Speisen eingewickelt, Reis zum Beispiel. Um die Trauben gehe es eher weniger, sagt der 66-Jährige. Im Gegenteil. Würden diese zu groß, fielen die Blätter mickriger aus. Damit eigneten sie sich weniger zum Einwickeln. Der erste Delmenhorster Rotwein wird also noch zu keltern sein.

Angebot im Wollepark stößt auf große Nachfrage
Einen Gemeinschaftsgarten im Wollepark gibt es bereits seit 2004. Zunächst am Nachbarschaftsbüro nahe der Westfalenstraße, später musste er nach einem Gebäudeabriss 2021 an die Stedinger Straße ziehen. Neben der Diakonie ist auch Quartiersmanagerin Theresa Kiunke vom Sanierungsträger Baubecon bei der Betreuung beteiligt. „Betreuung“ ist vielleicht etwas zu hoch gegriffen. Kiunke dazu: „Die Stadt Delmenhorst stellt diese Fläche zur Verfügung, das Quartiersmanagement verteilt die Garten-Parzellen und legt Regeln fest, aber die Menschen bauen später hier selbstständig ihr Gemüse an.“ Das Angebot stoße auf eine große Nachfrage, es gebe eine Warteliste. „Die Nachfrage ist wirklich immens. Viele andere würden sich gerne beteiligen“, sagt Kujadt. Bei der Delmenhorster Stadtplanung haben man mit der Idee „offene Türen eingerannt“.
Es geht um mehr als nur ums Gärtnern
Und das unter anderem auch, weil der Zweck des Gartens über das Gärtnern hinausgeht. Denn laut Kujadt ist der Garten:
- ein Ort für Selbstversorger, die ihr eigenes Gemüse anbauen
- eine Sparmaßnahme, um in der Inflation den eigenen Geldbeutel zu schonen
- ein Ort des Teilens, weil nach einer Ernte auch auf relativ kleinen Flächen so viel übrig bleibt, dass andere gerne etwas abhaben können
- Ein Ort der Zusammenkunft, einer „Gartenfamilie“, wie Kujadt sagt, wo alle dieselben Werkzeuge nutzen und gemeinsam arbeiten

Hier wachsen auch Ideen
Bei so viel Gemeinschaft kommt es auch mal vor, dass gute Ideen für die Allgemeinheit entstehen: Bei einem Grillabend auf dem Gartengelände kam die Idee auf, ein Schwimmprojekt ins Leben zu rufen. Die drei Kinder Noura Amnos sind alle als Schwimmtrainer engagiert. Weil die Nachfrage nach Schwimmkursen riesig ist, die Wartelisten aber eben auch, hatte Amnos Sohn Lion (18) die Idee, einen Kurs für Kinder aus den benachteiligten Stadtteilen in Delmenhorst ins Leben zu rufen. Finanziert wurde dies letzten Endes unter anderem durch den Quartiersfonds des Nachbarschaftsbüros. In dem Garten wächst also nicht nur Gemüse, es wachsen auch Ideen.

Was wird in Zukunft aus den grünen, kleinen Gartenparzellen?
Auch Samuel Gabriel ist Nutzer des Gartens. Der 76-Jährige wohnt an der Westfalenstraße und arbeitet oft morgens und nachmittags im Gemeinschaftsgarten, erzählt er. „Den ganzen Tag zu Hause sitzen, ist nicht gut.“ Dann lieber Beete jäten. Gabriel wirft eine wichtige Frage auf: „Was wird aus dem Garten?“ Die Nachricht, dass die Stadt auf dem Gelände unter dem Obertitel „Wonnepark“ etwas Neues, hat sich natürlich auch hier herumgesprochen. Frühestens im Sommer 2024 soll die Bauleitplanung für den Wonnepark abgeschlossen sein, hatte es erst kürzlich aus dem Fachdienst Stadtplanung geheißen. Danach soll die Fläche mit einer Mischung aus Wohnungen, Gastronomien, Gewerbebauten, einer Kita und anderen Nutzungen beplant werden. So hat es ein Interessenbekundungsverfahren der Stadt Delmenhorst ergeben. „Eine Fläche für einen Gemeinschaftsgarten soll ebenfalls eingeplant werden“, sagt Quartiersmanagerin Kiunke. Auf diese Weise soll das kleine grüne Idyll erhalten bleiben, muss aber dann vermutlich umziehen.
Aus der einstigen Öde ist heute eine blühende Wiese, ein grüner Garten geworden. Und das auf einer Fläche, auf der bald Schöneres entstehen könnte als eine Wüste aus Hochhäusern. Die Stadtentwicklung in diesem Areal, mühsam angepackt mit dem Abbruch vor sechs Jahren, könnte dann Früchte tragen.