Anstatt in einer Kirche wird in Hengsterholz Heiligabend in der Turnhalle Gottesdienst gefeiert. Im Interview mit unserer Zeitung spricht Freiredner Peter Mienert über die Geschichte des Gottesdienstes, Kirchenmuffel und Alkoholismus.
Peter Mienert (53) arbeitete 15 Jahre lang als Pastor in Lemwerder. 2006 zog er nach Hengsterholz und arbeitet seitdem als Freiredner, unter anderem auf Hochzeiten und Trauerfeiern. Außerdem hält er Heiligabend um 16 Uhr den Gottesdienst in der Turnhalle am Sportweg in Hengsterholz.
Wie kam es eigentlich dazu, dass Sie einen Gottesdienst in der Hengsterholzer Turnhalle feiern?
Ich bin vor acht Jahren von Leuten aus dem Dorf gefragt worden, ob wir hier nicht Heiligabend etwas Schönes machen könnten. Wir waren gleich beim ersten Mal circa 50 Leute. Deshalb haben wir gesagt: Wenn 50 Leute Lust haben, Gottesdienst zu feiern, dann sollte man das auch machen. Ich würde es nicht anbieten, wenn nebenan eine Kirche wäre. Das wäre albern. Die nächsten großen Kirchen stehen in Ganderkesee, Wildeshausen oder Harpstedt. Wir richten uns an Leute, die diese Wege nicht fahren wollen. Und meistens sind die anderen Gottesdienste ja auch voll.
Früher fand die Andacht unter freiem Himmel statt. Warum mittlerweile überdacht?
Draußen wird es stockduster. Ältere Leute haben dann Probleme, sich dort zu bewegen. Weil es in einem Jahr regnete, sind wir erst auf die Grillhütte und dann auf die Turnhalle ausgewichen. Gerade die älteren Besucher fanden das sogar schöner. Das andere Problem draußen ist: Wo kriegst du Licht für Liederzettel her? Draußen war es auch schön, aber mehr Sinn macht es drinnen.
Ist es ein christlicher Gottesdienst?
Eindeutig. Ich selbst bin ja evangelisch-lutherisch. Du wirst am Eingang aber auch nicht gefragt, ob du in der Kirche bist oder in welcher. Ich würde es aber schwierig finden, an Weihnachten eine Andacht zu halten ohne christlichen Hintergrund. Dann blieben für mich tatsächlich „nur“ der liebe Weihnachtsmann, ein paar schöne Geschenke und etwas Gutes zu essen. Dagegen habe ich nichts, aber dafür benötige ich keine Predigt. Ich brauche eine Predigt darüber, was der religiöse Hintergrund des Festes ist, was die Ursprungsgeschichte ist und was wir aus heutiger Sicht darüber denken. Und wo uns das was zu sagen hat.
Was für Leute kommen Heiligabend zu Ihnen?
Wir haben ein ganz gemischtes Publikum. Letztes Jahres waren es ungefähr 170 Leute. Ich kenne viele von denen, die da sind. Ich weiß, dass Leute speziell kommen, weil sie die Predigt hören wollen. Oder weil es für sie gleich um die Ecke ist. Aber auch, dass einige nie in einen Gottesdienst gehen würden. An diesem Tag sagen sie aber – warum auch immer: Da gehe ich hin.

Gibt es Änderungen im Vergleich zum Vorjahr?
Die Leute gehen nicht zu einer Weihnachtsandacht, um plötzlich einen Mann zu sehen, der mit den Füßen Klavier spielt und die Geschichte von Rotkäppchen vorliest. Das ist eine Traditionsveranstaltung und eigentlich ist es auch ganz schön, dass es noch Traditionen gibt. Dafür ist es eben Weihnachten. Aber es gibt jedes Jahr eine neue Predigt, das ist auch nicht überall so.
Wissen Sie schon, worum es in der Predigt gehen wird?
Ich habe einen ganz besonderen Text für dieses Jahr geschrieben. Denn: Wenn man ihn zum ersten Mal liest, merkt man, dass dieser Text überhaupt nichts mit Weihnachten zu tun hat. Dann muss man ihn auf eine spezielle Weise lesen – und plötzlich ist er ein Weihnachtstext. Es geht dieses Mal darum, die Perspektive zu wechseln. In diesem Jahr kam es mir so vor, als ob immer mehr Ellenbogen zählen, Ruppigkeit zählt, mein Standpunkt zählt. Den der anderen nehme ich gar nicht wahr. Darum in diesem Jahr das Thema Mut haben, sich mal zu fragen: Wie würde sich das denn anfühlen? Etwa, wenn man morgens aufsteht und der erste Gedanke ist: Wo kriege ich Alkohol her? Man muss Verständnis füreinander entwickeln. Sich sagen: Ich will nicht jeden gleich verdammen, sondern ich kann ihn auch verstehen.
Wie religiös ist Weihnachten überhaupt noch?
Erst einmal ist Weihnachten ja eine ganz individuelle Sache. Ich glaube aber schon, dass das Fest grundsätzlich eine große religiöse Komponente hat. Ob die immer christlich ist, ist eine andere Sache. Der religiöse Charakter besteht auch darin, dass man Dunkelheit vertreibt, vielleicht auch im eigenen Leben. Ich denke, dass sich an Weihnachten sehr viele Leute Gedanken über mehr als Geschenke und Essen machen. Und selbst bei denen, die sich nur über Geschenke und Essen freuen, aber die Gelegenheit nutzen, mit anderen zusammen zu sitzen, ist das etwas Religiöses. Man weiß, fast alle im Land feiern jetzt dieses Fest. Das ist schon etwas Besonderes.